GUT ZU WISSEN!
01.05.2016
Berichtssaison
Kurzfristig mag die Börse von Psychologie, von Gefühlen bestimmt sein. Längerfristig
ergibt sich der Wert von Aktien aber immer aus dem Wert der Unternehmen, an denen
Aktien Eigentum verbriefen. Der Wert der Unternehmen hängt wiederum davon ab, wie deren
Geschäfte laufen. Deshalb verfolgen Investoren und Anleger, Analysten und Fondsmanager
zurzeit wieder einmal aufmerksam, was die Unternehmen über ihre Geschäftsentwicklung
verlautbaren lassen. Denn es ist „Berichtssaison“: Die Geschäftsergebnisse des ersten Kalenderquartals
werden veröffentlicht. Wie also ist der Start ins neue Jahr gelungen? Und welchen
Ausblick geben die Unternehmen für den weiteren Jahresverlauf?
Im Vorfeld der Berichtssaison waren die Erwartungen schon wieder deutlich nach unten
revidiert worden. Nach sieben Jahren Konjunkturaufschwung liegen die Unternehmensgewinne
in Summe zwar nahe ihres Rekordniveaus; doch es fällt zunehmend schwerer, diese
Rekordgewinne noch zu steigern, ja sogar, sie zu halten. Um durchschnittlich 7 Prozent dürften
die Unternehmensgewinne in den USA sinken, so die Konsens-Schätzungen der Analysten.
In den vergangenen Jahren war es den Unternehmen meist gelungen, ihre Gewinne prozentual
stärker zu erhöhen als ihre Umsatzerlöse. Die Margen waren auf ein Rekordniveau
gestiegen. Mehr und mehr Fachleute gehen davon aus, dass es Unternehmen zumindest in
den USA kaum gelingen kann, ihre Margen auf Rekordniveau zu halten.
Ein krasses Beispiel dafür, wie schnell und weit Gewinnmargen von einem Rekord aus
fallen können, lieferte im vergangenen Jahr die Ölbranche: Der Niedergang des Ölpreises
von über 110 Dollar im Jahr 2014 auf zeitweilig unter 30 Dollar pro Barrel (159 Liter) machte
vor allem in den USA aus hochprofitablen Öl-Fracking-Unternehmen Pleitekandidaten. Dieser
„umgekehrte Ölpreisschock“ wirkt bis heute nach, schwächt sich aber dadurch ab, dass sich
der Ölpreis seit seinem Tief im Januar schon um rund 50 Prozent erholt hat.
Die laufende Berichtssaison in den USA muss aber nicht deshalb schlecht verlaufen,
weil im Durchschnitt ein Rückgang der Unternehmensgewinne erwartet wird, im Gegenteil:
Die Erwartung dürfte „eingepreist“ sein und für die Kursentwicklung kommt es immer darauf
an, ob die Erwartungen übertroffen oder unterschritten werden. So kann es auch zu Kursverlusten
kommen, wenn Unternehmen ihre Umsätze und Gewinne erhöhen, aber mehr erwartet
worden war. Ein Beispiel dafür lieferte vergangene Woche Alphabet, der Mutter-Konzern
von Google. Die Umsatzerlöse stiegen im ersten Quartal zwar um gut 17 Prozent auf
über 20 Milliarden Dollar und der Gewinn sogar um fast 20 Prozent auf 4,2 Milliarden Dollar.
Doch beides lag unter den Erwartungen, so dass der Aktienkurs fiel.
Alphabet / Google reiht sich damit in die Gruppe großer, beliebter US-Internet-Unternehmen
ein, deren Aktienkurs nach langem Höhenflug zuletzt „ins Stottern“ geriet: Die Apple-
Aktie fiel vom Sommer vergangenen Jahres bis Januar / Februar dieses Jahres um 30
Prozent und die Netflix-Aktie stürzte von ihrem Rekord Anfang Dezember sogar in nur neun
Wochen um 40 Prozent ab.
Die Risiken aus überzogenen Erwartungen dürften diesseits des Atlantiks kleiner sein.
Allerdings werden auch hier insgesamt sinkende Unternehmensgewinne erwartet. Die Konsens-
Schätzungen der Analysten erwarten einen rund fünfprozentigen Rückgang. Vielleicht
waren diese gedämpften Aussichten der Grund dafür, dass die europäischen Aktienmärkte
vier Wochen lang eher leicht abwärts pendelten. Vielleicht musste aber auch einfach nur der
rasante Anstieg seit Mitte Februar verkraftet werden.
Zuletzt stiegen die meisten europäischen Aktien über ihre Zwischenhochs aus dem
März, womit sich die Frage stellt, wann aus einer „untergeordneten“ Kurserholung ein
„übergeordneter“ Aufwärtstrend wird. In New York hat der Dow Jones seine Zwischenhochs
von November und Dezember übertroffen und auch der S&P-500 steht nicht mehr weit
der Rekordwerte aus dem vergangenen Sommer. Die laufende Berichtssaison müsste jetzt
positiv überraschen, damit ein Sprung über diese hartnäckige „Widerstandszone“ gelingen
kann.
Die China-Ängste und die dadurch ausgelösten Kursverluste im August vergangenen
Jahres und im Januar waren übertrieben. Aber dass sich das Wachstum der Weltwirtschaft
verlangsamt hat und dabei China eine große Rolle spielt, ist ebenfalls unstrittig. Aber die Situation
auf dem chinesischen Immobilienmarkt entspannt sich, nicht zuletzt, weil die Regierung
die Anzahlungsanforderungen für Immobilienerstkäufer gesenkt hat. Dies hat zu einem
spürbaren Anstieg der Immobilienkäufe geführt. Auch die lockere Fiskalpolitik, also höhere
Staatsausgaben um den Preis einer steigenden Staatsverschuldung, stützt die chinesische
Konjunktur. China dürfte sich zumindest in den kommenden Monaten damit eher als Stütze
der Weltkonjunktur erweisen denn als eine Belastung. Dennoch revidierte der Internationale
Währungsfonds (IWF) seine globale Wachstumsprognose für 2016 und 2017 nach unten:
Demnach dürfte die Weltwirtschaft in diesem Jahr um 3,2 und im kommenden Jahr um 3,5
Prozent wachsen. Im Januar lagen die Prognosen noch 0,2 bzw. 0,1 Prozentpunkte höher.
Zudem mache sich der IWF Sorgen um die Finanzstabilität. Der Bankensektor ist in der
Klemme: Einerseits belasten neue Konkurrenten, hohe Kosten, faule Kredite und Niedrigzinsen
die Geschäfte, andererseits wird von den Instituten erwartet, mit der Vergabe neuer Darlehen
das billige Zentralbankgeld an die Realwirtschaft weiterzugeben. Selbst in den USA, wo
Großbanken wie JP Morgan und Wells Fargo im Rahmen der Berichtssaison Milliardengewinne
vermelden konnten, sind die Sorgen nicht zerstreut. Die „Systemrelevanz“ solch riesiger Finanzkonzerne
wie JP Morgan und Wells Fargo ist gewachsen. Wie ein solcher Konzern abgewickelt
werden könnte, ist nach wie vor unklar. Die US-Bankenaufsicht hat jüngst die Abwicklungspläne
von fünf Großbanken als mangelhaft abgelehnt.
Fazit: Die Aussichten für Weltkonjunktur und Unternehmensgewinne sind nicht so, dass den
US-Leitindizes der Sprung über den Widerstand auf neue Rekordhöhen einfach gelingen dürfte.
Zudem könnte sich die Schuldenkrise in der ein oder anderen Ausprägung zurückmelden.
Europäische Finanzwerte gehörten in der vergangenen Woche zu den größeren Kursgewinnern.
Zum einen machten die Quartalszahlen großer US-Banken Hoffnung, zum anderen
scheint das milliardenschwere Rettungspaket für Italiens Kreditinstitute zu stehen. Der Finanzplatz
London würde unter einem Brexit-Votum leiden, doch die „City“ gibt sich „cool“, was
mit Blick auf etwa 50 Prozent Risiko bei Wahlforschern fast unangemessen optimistisch erscheint.
Jüngst bestätigten uns aus London angereiste Fondsmanager, dass man dort den
Buchmachern der Wettbüros mehr Glauben schenken kann. Die Quoten sehen eine Mehrheit
für den Verbleib Großbritanniens in der EU.
Fazit: Auch die relative Stärke des FTSE-100 spiegelt bereits die Erwartung eines EU-Verbleibs.
Deshalb ist es fraglich, ob es eine weitreichende „Erleichterungs-Rallye“ geben wird,
wenn es bei der Abstimmung am 23. Juni so kommen sollte. Umgekehrt muss man für den allerdings
weniger wahrscheinlichen Brexit-Fall mit Kursverlusten an der Börse London rech-
nen.
Die Probleme der Emerging Markets sind wieder seit längerem wieder „präsent“, das
langfristig höhere Wachstum dort tritt in der Wahrnehmung zurzeit dahinter zurück. Die
Kursverluste an den Aktienmärkten hatten gerade auch die Börsen in den Schwellenländern
stark belastet; von der darauffolgenden Erholung profitierten die Emerging Markets allerdings
auch schon überproportional: Der MSCI Emerging Markets brachte es auf ein Quartalsplus
von mehr als fünf Prozent, während der MSCI World, der nur Aktien aus Industrieländern beinhaltet,
nur gut ein Prozent schaffte. Seit dem Tief im Januar hat der MSCI Emerging Markets
in Lokalwährung um 14 Prozent zugelegt. Gleichzeitig stabilisierten sich auch die Währungen
vieler Schwellenländer, so dass die Bilanz in US-Dollar und Euro sogar noch besser ausfällt.
Fazit: Einzelne Schwellenländer-Aktienmärkte sind in Aufwärtstrends zurückgekehrt. Die
Emerging Markets grundsätzlich zu meiden, erweist sich für langfristig investierende Anleger
als Fehler.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Dopf Investments
Quelle: „GUT ZU WISSEN…“ erscheint bei der Drescher & Cie Gesellschaft für Wirtschafts- und Finanzinformationen mbH, Postfach 2165, 53744
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